SDG 5 – Es ist an der Zeit, Frauen an den Tisch zu holen

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Bis 2030 sollen alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt beendet werden, so das SDG 5. Zugleich spielt die Beteiligung von Frauen* eine entscheidene Rolle zum Erreichen der Ziele gegen Armut und Hunger. Daher müssen politische Maßnahmen im Sinne des Empowerments von Frauen* gestaltet werden, so Sara Worku, Koordinatorin der Alliance 2015 in Äthiopien. Im Gespräch mit dem Journalisten Jan Rübel spricht sie über die Bedeutung des Zugangs und warum SDG 5 einen wichtigen Raum für Gleichgerechtigung bietet.

© GIZ, Michael Jooss

Von Jan Rübel

Jan Rübel ist Autor bei Zeitenspiegel Reportagen, Kolumnist bei Yahoo und Reporter für überregionale Zeitungen und Zeitschriften. Er studierte Islamwissenschaft und Nahostgeschichte.

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Von Sara Worku

Sara Worku ist seit 2019 Koordinatorin von Alliance 2015-Äthiopien. Sie vertritt Alliance2015 in verschiedenen Dialogen und Foren auf nationaler Ebene. Ihre Rolle umfasst die Bereitstellung von strategischer Intelligenz und Lenkung, Moderation, Koordination, Repräsentation und Advocacy-Kompetenzen für Alliance2015-Mitglieder.

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Macht die Weltgemeinschaft Fortschritte bei der Gleichberechtigung von Frauen*?

Sara Worku: Ich glaube nicht, dass wir Fortschritte machen und in der Lage sind, unsere Ziele bis 2030 zu erreichen – und zwar aus verschiedenen Gründen. Die zahlreichen Krisen, insbesondere Covid-19, haben sich negativ auf das Leben von Frauen ausgewirkt. Aufgrund dieser Krise erleben wir jetzt sogar einen Rückschritt. Während der Pandemie hat die unbezahlte Arbeit der Frauen stark zugenommen, weil sie sich um die Kinder kümmern mussten. Das war eine große Belastung für die Familie, insbesondere für die Frauen selbst. Darüber hinaus hat sich die Wirtschaftskrise auf Frauen anders ausgewirkt als auf Männer. Nicht alle waren gleich stark betroffen: Frauen, die im informellen Sektor tätig sind, waren es im besonderen Maße.

 

Hat Covid sie also härter getroffen?

Ja. Die Wirtschaftskrise hat zu einer Zunahme der Gewalt in Haushalten beigetragen. Der körperliche, verbale und sogar sexuelle Missbrauch hat zugenommen, vor allem bei den vulnerabelsten Frauen. Aufgrund des Klimawandels, von Konflikten und anderen Krisen, sind Frauen zudem stärker von schwerer Ernährungsunsicherheit bedroht.  Eine Frau auf dem Land würde beispielsweise normalerweise zuerst ihren Mann, dann ihre Kinder und schließlich sich selbst mit Essen versorgen. In Krisenzeiten ist die Situation für Frauen jedoch prekär, da sie möglicherweise überhaupt nichts essen.

 

Wie kommen wir aus dieser Negativspirale heraus?

Die Verpflichtungen müssen erfüllt werden. Jeder beteiligte Akteur sollte seine eigene Rolle wahrnehmen. So sollte die Regierung beispielsweise den Rechtsschutz für ihre Bürger*innen stärken, insbesondere für die schwächsten Gruppen. In Krisenzeiten sind besonders gefährdete Gruppen stärker von Gewalt und Ernährungsunsicherheit betroffen, insbesondere Frauen*. Daher muss die Regierung die Funktionsfähigkeit der Schutzmechanismen, einschließlich des Sozialschutzes, sicherstellen.  Die Geber sollten außerdem angemessene Haushaltsmittel für die Gleichstellung der Geschlechter bereitstellen. Eine verstärkte Sensibilisierung der Öffentlichkeit wäre ebenfalls ein Weg aus dieser Falle, wie z. B. die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Gleichstellung der Geschlechter.

 

Muss mehr Geld investiert werden?

Ich bin mir nicht sicher, wie stark sich die Geber für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen. Um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, ist es wichtig, mehr Geld zu investieren. Maßnahmen, einschließlich eigenständiger Mainstreaming-Programme zur Gleichstellung der Geschlechter, sollten Frauen und Mädchen, insbesondere gefährdete und unerreichbare Frauen, in den Mittelpunkt stellen und mit einbeziehen. Ganz nach dem Motto:

 

… "Keine Frauen und Mädchen zurücklassen".

 

Das klingt nicht sehr ermutigend.

Bei einigen der SDGs sind Fortschritte zu verzeichnen. Bei unseren Mainstreaming-Maßnahmen sollten wir jedoch auch die Nachteile abwägen. Ein Beispiel sind Programme zum Anbau von Gemüse zu Hause, um eine bessere Ernährung insbesondere für Frauen und Kinder zu erreichen. Die Initiative hört sich zunächst gut an, da sie eine bessere Ernährung für Frauen und Kinder ermöglicht – es bedeutet aber auch, dass wir ihnen eine zusätzliche Aufgabe aufbürden, während sie bereits mit anderen Aufgaben überlastet sind. Wir sollten Frauen unterstützen und nicht mit weiteren Aufgaben belasten.

 

Die Lösung wäre also, dass der Ehemann die Gartenarbeit übernimmt?

So könnte es sein. Es geht aber vielmehr darum, den Ehemann zu überzeugen, sich an der Haushaltsarbeit zu beteiligen. Wenn er denkt, dass dies nur Aufgaben für Frauen sind, werden wir das Leben der Frauen nicht verbessern. Bei Interventionen sollten wir diesen Zielkonflikt genau verstehen und eine Lösung anbieten. Dies könnte die Förderung von arbeits- und zeitsparenden Technologien (für andere Aufgaben) oder die Sensibilisierung der Männer und der Gemeinschaft im Allgemeinen sein, damit Frauen stärker unterstützt werden.

 

Das Wichtigste ist, dass wir nicht nur um der Förderung des Gender Mainstreaming willen handeln oder nur um die Anzahl der Frauen in der jeweiligen Maßnahme zu steigern – das wird die Gleichstellung der Geschlechter nicht verändern.

 

Wir müssen kritisch darüber nachdenken, wie wir die Geschlechter und die sozialen Normen ändern oder umgestalten können, um Gleichstellung zu erreichen.

 

In Westeuropa gibt es eine Diskussion darüber, ob es in den politischen Debatten eine Art Rückblende im Sinne patriarchalischer Muster gibt. Wie sehen Sie das? Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen aus Afrika?

Ja, es deckt sich mit meinen Erfahrungen. In meinem Heimatland Äthiopien dominiert der Mann aufgrund von Tradition und Kultur im Haus. Selbst die Frauen akzeptieren das, vor allem in ländlichen Gebieten, denn so sind sie aufgewachsen. Wenn man sich die gebildeten Frauen ansieht, gibt es natürlich einige Veränderungen oder Fortschritte – und das ist gut so. Aber es geht nicht nur um die Kultur oder die Tradition im Haushalt: Die Herausforderung wird auch in den Organisationen und Institutionen sowie in den privaten Unternehmen gesehen. Männlichen Mitarbeitern wird häufig ein höheres Gehalt gezahlt, den Frauen hingegen ein Niedrigeres – und das obwohl sie über die gleichen Kompetenzen verfügen.  

 

Das ist in Stereotypen verwurzelt.

Ja. Bau- oder Metallarbeiten werden beispielsweise per se an Männer vergeben. Wenn sich eine Frau mit entsprechenden Fähigkeiten bewirbt, fragt das Unternehmen zweimal, ob sie wirklich fähig ist oder nicht. Das stereotypisierte Denken gilt auch für Männer, die in der Küche oder im Friseursalon arbeiten - auch wenn sie das Talent dazu haben. Der andere wichtige Punkt: Wenn Frauen ein Kind austragen, sind sie einige Zeit für Mutterschaftsurlaub abwesend. Daher neigen Unternehmen dazu, männliche Mitarbeiter zu bevorzugen.

 

Frauen müssen sich also erst einmal beweisen?

Das ist richtig. Wenn eine Frau den Job bekommt oder befördert wird, heißt es: "Das liegt an der Frauenquote." Selbst wenn man die Fähigkeit hat. "Weil du eine Frau bist, wirst du den Job oder die Stelle bekommen." Das ist eine falsche Vorstellung!

 

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik sind also essentiell?

Eine Außenpolitik sollte immer unter dem Gesichtspunkt der Stärkung der Rolle der Frau gestaltet sein – und zwar jenseits von Zahlen, denn Zahlen sagen nichts über die wirkliche Veränderung der Geschlechtergerechtigkeit aus. Daher müssen wir bei jeder Planung auch immer die Geschlechtertransformation kritisch betrachten.

 

Warum ist SDG 5 Ihrer Meinung nach so grundlegend?

Weil es mehrere Elemente enthält, wie Führung und Entscheidungsfindung. Die anderen Ziele enthalten sektorale Aspekte, wie Zugang zu Bildung oder Wasser, Zugang zu Ressourcen usw., die natürlich auch wichtig sind.

 

Aber SDG 5 bietet Raum für Frauen. Der erste Punkt ist der Zugang!

 

Was hat sich seit 2015, als die SDGs formuliert wurden, in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter getan?

Es sind einige Fortschritte zu verzeichnen. In Äthiopien nimmt der Anteil der Frauen in Führungspositionen wie im Parlament oder in anderen hochrangigen Positionen zu. Nach 2018 waren 50 Prozent der Kabinettsmitglieder Frauen. Mittlerweise ist der Anteil leider wieder auf 33 Prozent gesunken. Auch unsere Präsidentin ist eine Frau. Es ist wichtig, dass Frauen an der Entscheidungsfindung beteiligt sind.

 

Zudem gibt eine gewisse Verbesserung bei der Verwendung moderner Verhütungsmittel. Wenn Frauen Zugang zu Bildung haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie beispielsweise moderne Verhütungsmittel verwenden.

 

Welchen Ansatz verfolgen Sie, um Frauen zu stärken?

Besonders fördern wir den Ansatz der Selbsthilfegruppe (SHG-Ansatz), einer informellen Frauengruppe, die aus 15-20 Frauen besteht. Dieser Ansatz stützt sich auf drei Säulen: Soziales, wirtschaftliches und politisches Empowerment. Er basiert auf dem freiwilligen Engagement von Frauen, die homogene Gruppen bilden, ihre eigenen Regelungen vereinbaren und verschiedene praktische Schulungen erhalten. Die Frauen treffen sich in der Regel wöchentlich in SHGs, um zu diskutieren, sich auszutauschen und kleine Geldbeträge zu sparen. Das Geld wird auf gemeinsamen Konten gespart. Jedes Mitglied kann einen Kredit von der Gruppe aufnehmen, um ihr Geschäft aufzubauen oder zu erweitern. Ein wesentlicher Teil des Gruppensparens ist das Geld, das für den Sozialschutzfonds bestimmt ist, d. h. für den Fall, dass ein Kind krank ist, für Schulgeld, Hochzeiten oder Beerdigungen. Die Frauen als Mitglieder der SHGs werden gestärkt und teilen sich die Verantwortung für Entscheidungen mit ihren Ehemännern. Somit bieten die Gruppen ihnen die Möglichkeit, ihr Potenzial zu entfalten. Auch werden soziale Themen besprochen, einschließlich von Problemen oder Gewalt im eigenen Haus oder in der Nachbarschaft. So haben sich auch die Führungsqualitäten der Frauen verbessert.

 

Bislang haben Männer die Politik weltweit dominiert. Würden Sie eine Bilanz wagen? Ist es an der Zeit, auch die Frauen einzubeziehen, um bessere Ergebnisse für die Zivilisation und den Planeten zu erzielen?

Die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen ist von grundlegender Bedeutung. Das ist eine Realität. Wann immer Frauen etwas tun, sind sie bewusst, entschlossen und detailliert. Frauen bewirken einen Wandel in vielen Organisationen und Institutionen. Frauen hängen an ihren Kindern, ihrer Familie und sie gehen meist weniger Risiken ein, die sich auf sie auswirken könnten.

 

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